Ohren auf Durchzug

Je kleiner das Kind, umso klarer die Ansage. Damit was hängen bleibt zwischen Ohr und Hirn. Schwer? Ja. Aber so könnte es gehen.

„Würdest du mir den Gefallen tun, dem Kater nicht am Schwanz zu ziehen?„-“Nein.“ Eltern fragen manchmal seltsame Sachen. Der Papa meinte ja eigentlich, dass das Kind dem Kater nicht mehr am Schwanz ziehen soll. Wir sind doch darauf angewiesen, dass unsere Botschaften auch zuverlässig ankommen. Kinder müssen verstehen, dass sie nicht einfach auf die Straße laufen dürfen, Zähne putzen müssen, scharfe Messer liegen bleiben müssen.  Solange das Baby noch klein ist, machen wir alles richtig: Wir sprechen mit hoher Stimme, in einfachen Worten, die wir oft wiederholen – dududu, dadadada -, wir unterstreichen Sätze mit Berührungen.  Dann legt der Sprachanfänger los, sagt schmeichelnde Sätze wie „Ich habe dich lieb, auch wenn du stinkst“ – und schon neigen wir dazu, ihn zu überschätzen; reden mit ihm wie mit einem Großen. Daraus entstehen verbale Merkwürdigkeiten. 

Eine, die gern über den Spielplatz gerufen wird: „Bist du so nett und setzt deine Mütze wieder auf.“ Nett sein ist freiwillig. Schon Kinder mit einem Jahr verstehen das. Deshalb schleppen sie Nudelpakete aus dem Vorratsschrank zu Papa an den Herd. Bitte, gern, helfen ist toll! Aber die alte Mütze aufsetzen, ich mir mühsam heruntergerissen habe – was hat Mama denn davon, wenn es mich an den Ohren juckt? Eine Bitte, die eigentlich eine Aufforderung ist, verwirrt nur. Deshalb lieber so: „Mütze auflassen, Liebes.“ Eine klare Ansage, die jedes Kind versteht. Wenn es denn will.

Eine andere Elternlieblingsformulierung, mit der wir regelmäßig scheitern. „Ich habe es dir schon dreimal gesagt, dass…“ Wo ist das das Problem, denkt sich das Kind, sage es doch einfach noch einmal. Eine Aufforderung immer und immer zu wiederholen bringt nichts, außer schlechte Laune und Streit. Wenn wir etwas durchsetzen wollen, hilft kurz handeln besser als lange reden. Die Einjährige, die im Pamlentopf wühlt, hört doch überhaupt nicht hin, wenn wir zum biologisch-hygienischen Referat anheben: „Die Pflanze hat tief in der Erde Wurzeln, die sie ernähren, die möchten nicht ausgerissen werden und außerdem können sich in dem Substrat Keime und Schimmelsporen befinden, die du von den Händen in den Mund bringst und die dein kleiner Magen nicht verträgt. Hä? Keine Ahnung, was Mama da brabbelt. Ich spiele einfach mal weiter mit dem Matsch. Und jetzt, Mama? Hilft nichts, hoch vom Sofa Kind in das Bad tragen, Hände waschen und als gesunden Blumenerdeersatz Kohlrabistücke anbieten. Kleinkinder benötigen keine ausschweifende Erklärung, sondern verständliche, einfache Botschaften. Beim Apfel schneiden mit dem Messer fuchteln? Geht gar nicht, sofort aufhören, sonst ist das Ding weg. Kommt dann die beliebte (und die berechtigte Kinderfrage nach dem Warum, ist sie einfach zu erklären: weil du dich schneiden könntest.

Es fallt uns merkwürdig schwer, solche doch wichtigen Verbote in freundliche Töne zu packen. Wir bitten, stellen Anträge, geben umständliche Erklärungen. Solange, bis es ernst wird, dann erheben wir die Stimme, werden scharf und laut. Das ist kommunikationstechnisch kontraproduktiv, denn tatsächlich macht der Ton die Musik.  Was ankommt beim Gesprächspartner – auch bei einem, der 37 ist und am Laptop gegenübersitzt -, hängt maßgeblich von Mimik und Gestik ab, vom Klang der Stimme. 

Kleine kriegen wir besonders gut mit leisen Tönen, wir müssen nicht schimpfen, laut schreien, mit den Füßen stampfen. Viel besser hören sie zu, wenn wir flüstern, ein wenig Geheimnisvoll tun: “Psst, Achtung, jetzt pass mal gut auf…” Bewegen wir uns noch auf Augenhöhe, also runter auf die Knie und nehmen Blickkontakt auf, bringen wir so, selbst einen Topfdeckeltrommler zum Innehalten. Wir können die Hände auf seine Schulter legen, ihm in die Augen schauen und wispern: “Das trommelt zu laut in meinen Ohren. Das tut mir weh, du musst damit aufhören.” Die Wirkung ist dreifach: Der Blickkontakt lenkt die Aufmerksamkeit des Möchtegern-Schlagzeugers weg vom Topfdeckel, hin zu uns. Um zu verstehen, was wir murmeln, muss er sich konzentrieren und vergisst den Unfug im Idealfall. Und er bekommt – ganz wichtig – die Aufmerksamkeit, die er mit seinem infernalischen Lärm einfordern wollte: Endlich legt Mama das Handy weg. Kinder hören nicht nur leise Botschaften, sie halten es auch aus, dass wir nicht auf Anhieb eine Lösung parat haben.

„Das muss ich mir erst überlegen.“ Ein sehr bekannter Satz, der Mama und Papa erstens vom Elternthron holt: Aha, die wissen also auch nicht alles! Und der zweitens verhindert, dass wir spontane, unüberlegte, widersprüchliche Botschaften senden, die das Kind nur verwirren. „Eigentlich hast du ja schon drei Gummibärchen…“ Wir meinen damit, dass einerseits keine zusätzliche Runde Süßes genehmigen wollen. Andererseits aber so genervt sind vom Geschrei, dass wir überlegen, die nur Drei-Gummibärchen-am-Tag-Regel zu brechen.  Damit schaffen wir Entscheidungsleerraum, den die Gummibärchenliebhaberin, weil sie schlau ist, mit anschwellendem Nörgeln füllt – jetzt nur nicht nachlassen, da ist noch etwas drin.  

Ein Quengel Stopp erreichen wir eher, wenn wir verkünden: „Über mehr Süßes muss ich nachdenken. Das kann ich nur, wenn du still bist.“  So bleiben wir Handelnde und können in Ruhe eine Lösung finden, zu der wir stehen. Außerdem kommt das Kind in der Denkpause ein Stück weg vom Thema – Gummibärchen, welches Gummibärchen? Ich baggere doch längst Bagger.  Pädagogisches Restrisiko: Statt Bauernhofpuzzle, Bausteine und Malstifte brav aufzuräumen, blickt das Kind aufs Kinderzimmerchaos und verkündet angesichts des nölenden Erziehungsberechtigens: „Erst nachdenken. Bitte still!“

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